zurück zur Übersicht

«Frieden wagen» mit Niklaus von Flüe

Die Sehnsucht nach Frieden ist nie grösser als in der Stunde eines Konflikts. Der Obwaldner Einsiedler, Mystiker und Asket Niklaus von Flüe wird weltweit als Friedensheiliger verehrt. Auch als Landespatron der Schweiz erfährt er besondere Wertschätzung. Er selbst hat aber mehrmals betont, dass er kein Friedensmacher sei, es brauche den guten Willen und die Bereitschaft aller Beteiligten. Aus Anlass seines Namenstages am 25. September einige Gedanken zum kostbaren Gut «Frieden».

Statue von Bruder Klaus in der Pfarrkirche Oberägeri. Foto: Arnold Landtwing

Wie schön wäre es, wenn einer käme und Frieden befehlen würde. Manche Schilderungen des «Stanser Verkommnisses» vom Jahr 1481 lesen sich, als ob Niklaus von Flüe (um 1417-1487) genau dies getan habe. Es handelt sich dabei um den Friedensschluss der damals acht eidgenössischen Orte untereinander und um den Zusatzvertrag mit der Aufnahme von Freiburg und Solothurn in den Bund der Eidgenossen. Dieses Regelwerk blieb für mehr als 300 Jahre in Kraft und kann deshalb auch als «Verfassung der frühen Eidgenossenschaft» (Regula Schmid Keeling) bezeichnet werden. Daraus ergibt sich seine besondere historische und spirituelle Bedeutung, denn nicht jede Nation kann für sich in Anspruch nehmen, dass der Ratschlag eines Heiligen massgebend zum guten Gedeihen des Gemeinwesens beigetragen habe.

Eremiten- und Pilgerkapelle im Ranft. Foto: Roland Gröbli

«Ein Gutes bringt das andere»

Wie im Schlusskommuniqué explizit festgehalten wurde, hatte Niklaus von Flüe für den erfolgreichen Abschluss der mehr als drei Jahre dauernden Verhandlungen viel «Mühe und Arbeit» aufgewendet. Der genaue Wortlaut seiner Ratschläge ist jedoch nicht überliefert. Das ist ganz gut so, denn es war sicherlich nicht ein einzelner, konkreter Satz, der dem Frieden zum Durchbruch verhalf. Vielmehr war es sein grundsätzlicher Appell an alle Beteiligten, den Frieden zu wagen.

Wie man Frieden wagen kann, dafür hat uns der «Freund des Friedens» genügend Hinweise hinterlassen. So bot er den Konstanzern, die ihn um Hilfe in einem Streit mit den Eidgenossen gebeten hatten, nur wenige Wochen später seine guten Dienste an und fügte hinzu: «Mein Rat ist auch, dass ihr gütig seid in dieser Angelegenheit, denn ein Gutes bringt das andere. Wenn es aber nicht in Freundschaft entschieden werden kann, so soll das Rechtsverfahren die schlechteste Variante sein.»

Wenn beide Seiten bereit sind, einer gemeinsamen Lösung den Vorzug zu geben, selbst wenn man noch so sehr vom eigenen Rechtsstandpunkt überzeugt ist, dann führt dies zu einer tragfähigeren Lösung als das sture Durchsetzen der eigenen Ansprüche.

«Ihr sollt einander zuhören»

Einen weiteren wertvollen Grundgedanken bietet uns der Dankesbrief an die «Ehrwürdigen von Bern», den er knapp ein Jahr später einem unbekannten Schreiber diktierte. Darin empfiehlt er unter anderem, aufeinander zu hören. Dieser Gedanke stand im Zentrum des Festvortrags, den der kürzlich verstorbene Literaturprofessor Peter von Matt am 30. April 2017 auf dem Landenberg in Sarnen hielt. «Die Achtung des Gegners zeigt sich daran, dass man ihn anhört, seine Meinung bedenkt und ihm grundsätzlich den guten Willen attestiert. Die Verachtung des Gegners zeigt sich daran, dass man sich weigert, seine Worte ernst zu nehmen, und dass man an die Stelle von kritischen Argumenten Beschimpfungen setzt.»

«Darum sönd ir luogen, dz ir enandren ghorsam syend» - Darum sollt ihr darauf achten, dass ihr einander zuhört. - Dieser Satz gilt nicht nur im institutionellen Kontext. Niklaus von Flüe und seine Frau Dorothee Wyss (1430/32-1495/96) haben ihn exemplarisch gelebt, als ihr gemeinsamer Lebensentwurf als Bauern, Eltern von zehn Kindern und als Ehepaar einer existenziellen Belastung ausgesetzt war. Während Niklaus immer drängender den Wunsch nach einem Leben in Abgeschiedenheit und Einsamkeit verspürte, sorgte sich seine Frau zurecht, um die existenzielle Grundlage und den Zusammenhalt der Familie mit zehn Kindern.

Niklaus von Flüe betonte gegenüber Dritten immer wieder, dass die Zustimmung seiner Frau und seiner Kinder eine zwingende Voraussetzung für sein neues Leben war. Ich lese dies so, dass beide so lange miteinander gesucht und aufeinander gehört haben, bis eine Entscheidung in diesem Sinne möglich war. Tatsächlich blieb Dorothee Wyss auch in den Jahren im Ranft für Bruder Klaus, wie er sich nun nannte, seine wichtigste Stütze und engste Gefährtin.

Niklaus von Flüe und Dorothee Wyss. Foto: Jonas Riedle

«Friede ist stets in Gott, denn Gott ist der Friede»

Sollen wir uns vorstellen, dass Niklaus und Dorothee stundenlang miteinander diskutiert haben? Wohl kaum. Ich halte es für weit wahrscheinlicher, dass beide, sowohl je für sich als auch gemeinsam, gebetet haben. Mit dem Herzen und mit Worten. Für Mechthild von Magdeburg (um 1207 – 1282) zieht das Gebet eines guten Menschen «den grossen Gott herab in ein kleines Herz». Im bereits erwähnten Brief an die Berner von 1482, dem spirituellen und politischen Vermächtnis des Ranfteremiten, schreibt er: «Friede ist stets in Gott, denn Gott ist der Friede, und Frieden kann nicht zerstört werden, Unfrieden aber wird zerstört. Darum sollt ihr darauf achten, dass ihr auf Frieden baut, Witwen und Waisen beschirmt, so wie ihr es bisher getan habt.» Zu einem guten und dauerhaften Frieden gehören die tätige Nächstenliebe («beschirmt Witwen und Waisen») und die spirituelle Dimension («Gott ist der Friede»).

Ich bin überzeugt, dass Niklaus von Flüe mit seinen Interventionen bei der eidgenössischen Tatsatzung an diese grundsätzliche Haltung appellierte: ‘Frieden wagen’ mit der Bereitschaft, eigene Rechtsansprüche zugunsten des Gemeinwohls zurückzustellen, ‘Frieden wagen’ mit der Bereitschaft, anderen zuzuhören, und ‘Frieden wagen’ mit der Bereitschaft, zwischen vergänglichen und unvergänglichen Werten zu unterscheiden und beidem den je zugehörigen Ort zuzuweisen.